Nach jahrzehntelanger relativer Tolerierung von Cannabis in Spanien hat das Verfassungsgericht abschließend entschieden, dass die Cannabis-Clubs illegal sind. Die jahrelange Kriminalisierungsstrategie der spanischen Regierung hatte also Erfolg. Eine Debatte im spanischen Parlament ist dringender denn je.

In Spanien hat das Verfassungsgericht entschieden, dass die Cannabis-Clubs gegen das Gesetz verstoßen haben und dass ihre Aktivitäten ohne vorherige Änderung des Strafgesetzbuches nicht von den Regionalparlamenten reguliert werden können. Damit enden 50 Jahre relativer Toleranz und es beginnt eine neue Phase, in der Rechtsunsicherheit und Repression den Ton angeben werden. Eine neues Gesetz auf nationaler Ebene ist der einzige Weg, diese Phase zu überwinden.

Eine Falschmeldung

Den 19. Dezember 2017 werde ich so schnell nicht vergessen. Auf meinem Telefon waren plötzlich dutzende Whatsapp-Nachrichten, SMS und verpasste Anrufe. Die Presseagentur EFE hatte soeben mitgeteilt, das Verfassungsgericht habe die vom Obersten Gerichtshof gegen vier Mitglieder des Vereins Pannagh (darunter auch gegen mich) verhängte Strafe aufgehoben, und die Medien begannen sofort damit, diese Nachricht zu verbreiten. Unsere Anwälte hatten das Urteil noch nicht erhalten, aber weil die Mitteilung von der EFE kam, glaubten wir, sie könne nur richtig sein. Auf jeden Fall hatte man keine Zeit, darüber nachzudenken: Nach einer Stunde gab ich bereits die ersten Radio-Interviews.

Wir wussten, dass in diesen Tagen auch das Urteil des Verfassungsgerichts im Fall Ebers (ein weiterer Cannabis-Club in Bilbao) zu erwarten war, sodass wir einen Irrtum nicht ausschließen konnten. Trotzdem war die Freude groß. Aber am nächsten Morgen bestätigte uns Hugo Madera, Direktor von Soft SecretsEspaña, was wir befürchtet hatten: Die EFE-Mitteilung war eine Falschmeldung, und das einzige in Wirklichkeit vorliegende Urteil war das im Fall von Ebers. Aber diese Falschmeldung ging nun durch die Medien, und obwohl einige sofort Richtigstellungen veröffentlichten, haben andere dies immer noch nicht getan. Von der anfänglichen Begeisterung bis zur bitteren Enttäuschung dauerte es nur wenige Stunden.

Die Cannabis-Clubs kommen in der derzeitigen Gesetzgebung nicht vor

Neben der verständlichen Enttäuschung gibt uns das Urteil im Fall Ebers aber auch etwas Hoffnung auf einen positiven Ausgang unseres Falles. Denn wenn das Urteil im Fall Ebers aufgehoben wurde, ist das Gleiche ja für den Fall Pannaghund den Fall ThreeMonkeys aus den gleichen Gründen zu erwarten. Sicher sein kann man aber nicht. Auf politischer Ebene ist dieses Urteil auf jeden Fall ein herber Rückschlag, weil mit ihm die Tür zum Modell der Cannabis-Clubs in Spanien definitiv zugeschlagen wurden.

Das Urteil differenziert zwischen zwei Gründen der von Ebers eingelegten Verfassungsbeschwerde: Zum einen geht es um den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit („principio de legalidad“), zum anderen um das Recht auf angemessene Verteidigung („derecho a la defensa“). Will man nicht zu tief in die juristischen Begriffe einsteigen, kann man die Ausführungen zur ersten Frage wie folgt zusammenfassen: Das Verfassungsgericht ist der Ansicht, dass die Artikel des spanischen Strafgesetzbuchs über illegale Betäubungsmittel hinreichend klar und eindeutig sind und dass sie durch den Obersten Gerichtshof auch korrekt, vorhersehbar und verhältnismäßig ausgelegt wurden. Aber wieso ist das so? Ganz einfach: Weil das Verfassungsgericht es so sieht.

Es hat damit fast ohne Argumente eine jahrzehntelange juristische Debatte beendet, in der renommierte Juristen auf die diesbezügliche Unklarheit der strafrechtlichen Bestimmungen hingewiesen haben. Viele Gerichte, unter anderem auch der Oberste Gerichtshof, haben das auch anerkannt. Aber die Anerkennung dieser Unklarheit würde bedeuten, dass die strafrechtlichen Bestimmungen neu formuliert werden müssten. Weder ist die Regierung hierzu bereit, noch finden das die Richter gut, die eine Cannabis-Regulierung ablehnen (und sie dominieren sowohl den Obersten Gerichtshof als auch das Verfassungsgericht). Denn beide befürchten, dass diese Gesetzesreform zu einem Mehr an Tolerierung führen könnte. Die ganze Diskussion wird also auf dem autoritären Weg beendet: Die Sache ist in unserem Sinne entschieden, weil wir das Sagen haben, und damit ist auch die Diskussion beendet.

Was die Auslegung des Gesetzes angeht, besagt das Urteil, dass Cannabis eine die Gesundheit gefährdende Substanz ist und daher jede von der Zulassungsstelle für Arzneimittel nicht autorisierte Nutzung illegal ist. Sie ist jedoch keine Straftat. Aber jede absichtliche Herstellung von Cannabis zum Zwecke eines Konsums, der über den Eigenbedarf hinaus geht, stellt sehr wohl eine Straftat dar, egal ob sie aus kommerziellen Gründen stattfindet oder nicht. So gesehen kann man die Cannabis-Clubs nicht als eine Form des Eigenbedarfs ansehen, und ihre Aktivitäten gelten damit als Straftaten. Damit ist das letzte gesetzliche Schlupfloch geschlossen, dass den Clubs ihren Betrieb bisher erlaubt hatte.

Der zweite Teil des Urteils gibt dagegen zu, dass das Recht der Verurteilten auf eine angemessene Verteidigung verletzt worden ist. Nach ihrem Freispruch in der Hauptverhandlung wurden sie später unter Berufung auf Tatsachen verurteilt, die in der Hauptverhandlung gar nicht angesprochen worden waren, wie etwa die Frage, ob sie sich darüber klar waren oder nicht, dass sie durch ihr Handeln eine Straftat begingen, ohne sie hierzu selbst anzuhören. Im Unterschied zu fast allen europäischen Staaten gibt es in Spanien keine gerichtliche Instanz, vor der man Urteile des Obersten Gerichtshofes anfechten kann. Das Verfassungsgericht prüft aber nur eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte, und es werden nur 1 % der eingelegten Rechtsmittel zur Entscheidung angenommen.

Hinzu kommt noch, dass das Oberste Gericht nur sehr selten eine mündliche Hauptverhandlung ansetzt, sodass das Gericht schon viele Menschen verurteilt hat, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, selbst angehört zu werden. Aus diesem Grund hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits in zehn Fällen gegen Spanien entschieden, und offenbar hat man nun beschlossen, dass man dafür kein elftes Mal verurteilt werden will. Durch die Rückverweisung des Falls an das Oberste Gericht kann im Übrigen auch eine Einmischung durch ein EU-Gericht vermieden werden. Und so konnte man über das eigentliche Problem des Falles, die Frage nach der Legalität der Cannabis-Clubs, ganz im Sinne der Anhänger der Prohibitionspolitik entscheiden.

 

 

Nur die spanische Regierung kann Cannabis regulieren

Leider hatte es damit nicht sein Bewenden. Nur einen Tag nach Verkündung des Ebers-Urteils hat das Verfassungsgericht auch über das von der spanischen Regierung eingelegte Rechtsmittel gegen das Gesetz Nr. 24/2014 der Region Navarra über Cannabis-Vereine entschieden. Das Verfassungsgericht begnügte sich mit 19 Seiten, um dieses Gesetz aufzuheben, das nach einem erfolgreichen Volksbegehren von einer breiten Mehrheit des Regionalparlaments verabschiedet worden war. Das Gesetz wird als verfassungswidrig angesehen, weil ein Gesetz der Region nicht dem Strafrecht widersprechen darf. Das ist nach Ansicht des Verfassungsgerichts bei dem Gesetz der Region Navarra aber der Fall, denn „sein Zweck, wie schon der Gesetzesname besagt, ist die rechtliche Absicherung von Handlungen, die der Gesetzgeber im Strafrecht als Straftat ansieht“.

Weil der Oberste Gerichtshof bereits beschlossen hat, dass den Cannabis-Clubs der Anbau und Vertrieb von Cannabis durch die Strafgesetze untersagt ist, kann ab dem jetzigen Zeitpunkt kein anderer mehr außer dem spanischen Parlament diese Aktivitäten regulieren. Hierfür müsste es das Strafgesetz ändern, und dies erfordert eine absolute Mehrheit. Das bedeutet: Weder das Gesetz der Region Navarra noch das des Baskenlands oder das Gesetz von Katalonien, das zuletzt beschlossen wurde, sind wirksam. Dadurch werden auch weitere Regionalparlamente, die ihre Absicht erklärt hatten, den Eigenanbau und die Cannabis-Clubs zu regulieren (Balearen, Valencia, Asturien, etc.), an der Umsetzung dieses Vorhabens gehindert.

Beide Urteile sind zwar keine echte Überraschung. Bemerkenswert ist dennoch die Form, in der das Verfassungsgericht sie verkündet hat, nämlich fast gleichzeitig, kurz vor Weihnachten und genau in der Zeit der Wahl in Katalonien, die wochenlang beherrschendes Thema in den Medien war. In nur zwei Tagen und ohne großes Aufsehen hat das Verfassungsgericht mit den Cannabis-Clubs aufgeräumt und verhindert, dass jemand anders als das nationale Parlament ihre Regulierung in die Hand nimmt. Dadurch sind mit einem Schlag mehrere Jahrzehnte einer relativen Doppeldeutigkeit und Cannabis-Tolerierung beendet. Der gewohnte Stil der spanischen Regierungsführung, zu dem ein gewisses Laissez Faire und eine kalkulierte Doppeldeutigkeit gehören, ist nun der klar repressiven Haltung gewichen, wie sie im restlichen Europa vorherrschend ist. Die Regierung hat entschieden, dass Spanien kein Vorbild für eine alternative Cannabis-Politik mehr sein soll, und es scheint so, dass sie damit durchkommt.

Es kann sein, dass die Urteile zum Fall Pannagh und zu dem Gesetz über Cannabis-Vereine in Katalonien leichte Unterschiede zu dem Urteil im Fall Ebers und zu dem Urteil über das Gesetz der Region Navarra aufweisen, da die beiden erstgenannten Fälle einige komplexere Rechtsfragen aufwerfen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass man in den Grundprinzipien davon abweichen wird, sodass als erste Schlussfolgerung festzuhalten ist: Die Cannabis-Clubs sind illegal und die Regionalparlamente sind für ihre Regulierung nicht zuständig. Der Weg über die Gerichte ist in dieser Frage beendet.

Derweil hat die Plattform Regulación Responsable bekanntgegeben, dass sie im Fall Ebers den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen wird. Renommierte Juristen, die man dazu befragt hat, zweifeln aber daran, ob man den Weg nach Straßburg gehen kann, ohne dass bereits eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Und der bekannte Experte auf diesem Gebiet, Tom Blickman vom Transnational Institute (TNI), hat sofort seine Zweifel an der Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens geäußert, da ein negatives Urteil Konsequenzen für ganz Europa hätte. Blickman meint – und ich stimme dem zu -, dass das Vorgehen in dieser Sache europaweit koordiniert werden sollte und dass man vor dem Europäischen Gerichtshof den Fokus auf eine Verletzung der Menschenrechterichten sollte. Es ist zu hoffen, dass RR darauf verzichtet, diese Initative einseitig durchzuziehen, da sie die Cannabis-Clubs nicht ausreichend repräsentiert und Ebers nach verbreiteter Meinung nicht das beste Beispiel eines typischen Cannabis-Clubs ist.

Der einzige Ausweg: Eine Änderung des Strafgesetzbuchs

Bis jetzt hatte die spanische Regierung und hatten auch die Anhänger der Prohibitionspolitik unter den Richtern Anlass zu ernsten Sorgen. Der Wandel der öffentlichen Meinung, die sich immer stärker für eine Cannabis-Regulierung ausspricht, der Boom der Cannabis-Clubs und die parlamentarischen Initativen in den autonomen Regionen haben die Regierung zuletzt in Bedrängnis gebracht. Die Vorlage eines Vorschlags für ein Regulierungsgesetz, erstellt von der Forschungsgruppe zur Untersuchung der Cannabispolitik GEPCA (Grupo de Estudio de Políticassobreel Cannabis), könnte ebenfalls zum Ausgang dieses Prozesses beigetragen haben. Dieser hatte 2013 damit begonnen, dass die spanische Generalstaatsanwaltschaft (eine direkt von der spanischen Regierung ernannte Behörde) angeordnet hatte, alle Cannabis-Clubs als kriminelle Organisationen zu verfolgen. Dadurch konnte sie auch die Freisprüche vor dem Obersten Gerichtshof anfechten, was nun dazu geführt hat, dass die gesetzliche Lücke, die den Cannabis-Clubs die Existenz sicherte, auf die denkbar schlechteste Weise geschlossen wurde.

Es ist kein Geheimnis, dass die Regierung schon lange versucht, die Cannabis-Clubs loszuwerden. Der unsägliche Francisco Babín als Beauftragter für die nationale Drogenpolitik hatte ja schon seit Jahren die Devise ausgegeben, dass die Gerichte sich früher oder später schon darum kümmern würden. Er tat dies in der Gewissheit dessen, der weiß, dass er eine regierungsnahe Justizhierarchie auf seiner Seite hat. Noch vor kurzem hat Babín selbst auf dem von dem Beauftragten geförderten Internationalen Kongress über Cannabis verraten, auf was man sich in etwa gefasst machen kann.

Meine zweite Schlussfolgerung ist daher, wie ich in einem früheren Artikel bereits geschrieben habe, dass gerade die größeren und professionell geführten Cannabis-Clubs schließen müssen. Wenn sie das nicht tun, setzen sich ihre Verantwortlichen Haft- und hohen Geldstrafen aus, da ab jetzt niemand mehr behaupten kann, er oder sie hätte „nichts gewusst“. Nur Clubs mit geringer Mitgliederzahl und flacher Organisationsstruktur haben vielleicht eine Chance, zu dem laut Verfassungsgericht zulässigen „kollektiven Eigenbedarfsanbau“ gerechnet zu werden und so der Repression zu entgehen. Aber die Abgrenzung ist nicht eindeutig, was zu rechtlicher Unsicherheit führen wird.

Es ist daher nötiger denn je, im spanischen Parlament die Debatte über die Regulierung von Cannabis voranzutreiben, da das in den Parlamenten der autonomen Regionen nicht mehr möglich ist. Im gemischten Ausschuss für Drogenpolitik muss so bald wie möglich ein Referat für Cannabis gegründet und zeitgleich die gesellschaftliche Debatte auf allen Ebenen vorangetrieben werden. Außerdem sollten alle Gruppen, die sich in der Drogenpolitik für den Ansatz der Risikominimierung einsetzen, Stellung zu diesem Salto rückwärts des Verfassungsgerichts beziehen, der uns um mehr als 40 Jahre zurückwirft. Andernfalls droht die spanische Drogenpolitik, die in mehrfacher Hinsicht zu den tolerantesten und progressivsten der Welt gehörte (was andererseits auch nicht viel zu bedeuten hat), im Sumpf der reaktionärsten Prohibitionspolitik der letzten Jahre stecken zu bleiben.

Martín Barriuso / Cannabis Activist

Barriuso hat einen Abschluss in Philosophie und engagiert sich seit 1991 für die Legalisierungsbewegung. Er gründete den Kalamudia-Verein und organisierte den ersten gemeinschaftlichen Anbau von Cannabis im Baskenland. Zweimal war er Mitglied des Präsidiums der ENCOD-Koalition. Barriuso verfasst regelmäßig Beiträge für verschiedene audio-visuelle und Print-Medien. Er schrieb mehr als 200 Artikel und acht Bücher (als Autor oder Mitverfasser) über Cannabis und andere Substanzen, Risikoverringerung und Drogenpolitik. Er hat an der baskischen Universität Deusto und an der Universität Alicante gelehrt.